Ressourcenerschließung und Herrschaftsräume im Mittelalter:

Burgen und Klöster der Pfalzgrafen von Tübingen

Projekt B03 im SFB 1070 RessourcenKulturen der Eberhard Karls Universität Tübingen

Forschungsstand und Forschungsraum

Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit den Pfalzgrafen von Tübingen und der Frage, wie diese Familie Klöster und Burgen als Ressourcenkomplexe genutzt haben und inwieweit daraus spezifische RessourcenKulturen (Abb. 01) entstanden sein könnten.

Vermutlich aus dem nördlichen Schwarzwald stammend, gelang es den Tübinger Grafen innerhalb kürzester Zeit im 12. Jahrhundert zu einer der mächtigsten Adelsfamilien Südwestdeutschlands aufzusteigen. In Tübingen wurde versucht, einen neuen Herrschaftsmittelpunkt zu schaffen. Aufgrund der schlechten Forschungslage ist bisher nur wenig über die territorialen Besitzungen der Tübinger bekannt. Allerdings müssen sie eine beachtliche Größe umfasst haben. Sie reichten vom Schwarzwald im Westen über die Schwäbische Alb im Süden und Osten bis nach Oberschwaben. Die nördlichen Grenzen sind hingegen noch nicht sonderlich gut bekannt (Abb. 02).

Abb. 1 Konzept

Die Tübinger Grafen sind vor allem als Klostergründer in Erscheinung getreten: Enzklösterle (1145), Obermarchtal (1171), Blaubeuren (1085) und Bebenhausen (1185).  Darüber hinaus haben sie die Klöster Klosterreichenbach, Mengen und Kirchberg mit umfangreichen Schenkungen bedacht (Abb. 02). Dies ist selbst für die damaligen Verhältnisse eine außergewöhnlich große Zahl.  Noch interessanter wird dieser Gesichtspunkt, wenn man auf der Landkarte betrachtet, wo diese geistlichen Einrichtungen liegen. Enzklösterle ca. 15 Kilometer nordöstlich von Nagold mitten im nördlichen Schwarzwald. Obermarchtal an den südlichen Ausläufern der Schwäbischen Alb in Oberschwaben und schließlich Blaubeuren ebenfalls nahe der Schwäbischen Alb an ihren Ostausläufern Richtung Ulm. Die Vermutung liegt nahe, dass die Klöster als westlicher, südlicher und östlicher Grenzposten des eigenen Territoriums genutzt wurden, um die eigene Herrschaft abzusichern. Erst nach der Gründung dieser vermeintlichen klösterlichen Grenzposten schien die Familie sich um ihr Seelenheil und ihre Memoria Gedanken zu machen. Dafür spricht zumindest die letzte bekannte Stiftung, Kloster Bebenhausen, unweit von Tübingen. Also verhältnismäßig spät versuchten die Tübinger Grafen mit Burg, stadtähnlicher Siedlung und Hauskloster eine eigene Residenz mit zentralörtlichen Funktionen zu errichten.

Relativ wenig ist hingegen über die Burgengründungen der Tübinger bekannt. Schon bei der eponymen Burg Tübingen ist sich die Forschung nicht sicher, wo der Standort der 1078 erstmals in den Schriftquellen erwähnten Anlage zu suchen ist. Interessanterweise befindet sich Tübingen nur 10 km östlich der heutigen Burgruine Kräheneck in Reusten. Diese Burganlage wird nicht nur mit dem „ersten Tübinger Grafen“ Hugo in Verbindung gebracht, sondern übte als Gerichtsort vermutlich zentralörtliche Funktionen aus. Weshalb es zu einer Verlagerung nach Tübingen kam, konnte bisher nicht gelöst werden. Abschließend bleibt zu konstatieren, dass die vielen, kleinen Burganlagen der Tübinger, auch im Umkreis der Klöster bisher noch keine Gesamtwürdigung erfahren haben.

Abb. 2 Arbeitsgebiet

Fragestellungen und Ziele

Inwieweit für die Herrschaftsbildung im 12. Jahrhundert die vorstädtische Siedlung Tübingen und ihre Infrastruktur sowie eine eventuell bereits bestehende Burg „Hohentübingen“ als RessourcenKomplexe eine Rolle spielten, oder ob diese erst durch die Grafen als Element ihrer RessourcenKultur neu errichtet wurde, ist eine der zentralen Fragestellungen und schließt unmittelbar vorausgehende mögliche RessourcenKomplexe wie die bereits erwähnte Burg Kräheneck mit ein.

Gerade aus infrastruktureller Sicht hätte es anstelle des heutigen Standortes Alternativen gegeben: Auf der anderen Seite des Spitzberges, an seinen westlichen Ausläufern befindet sich mit Wurmlingen ein Ort, der nicht nur näher an Sülchen, dem alten Zentralort der Region, gelegen wäre, sondern auch die Grenze zwischen Nagoldgau, den die Tübinger angeblich kontrollierten, und dem südlich daran anschließenden Sülchgau. Naturräumlich an der „Porta Suevica“ gelegen, war der Ort Wurmlingen auch verkehrstechnisch von zentralörtlicher Bedeutung. Mit Lustnau, heutiger Teilort im Osten von Tübingen, gäbe es einen weiteren interessanten Ressourcenkomplex, an dem sich vermutlich die alte Furt über den Neckar befand. In Tübingen selbst hat eine solche nie existiert. Die Lage im Schnittpunkt von Neckar- und Steinlachtal sowie Zusammenfluss von Neckar und Ammer spricht hingegen wiederum für Tübingen und könnte mit Überlegungen zusammenhängen, eine direkte Kontrolle über eine zentrale Verkehrsachse der Region auszuüben.

Die zweite Kernfrage ist, ob die Hypothese zutrifft, dass die Tübinger Adelsfamilie Klöster gezielt als Grenzposten für das Kerngebietes ihrer Herrschaft nutzte und weshalb Klöster unter den gegebenen Bedingungen eine geeignetere Ressource darstellen konnten als eine Burganlage, die man zuerst mit einer solchen Funktion in Verbindung bringen würde?

Hier könnte der Erwerb der Klostervogtei eine Rolle spielen, um Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet ausüben zu können, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, diese Kontrolle durch Erbteilungen einzubüßen, da eine Klostervogtei nicht teilbar war. Vielleicht erhoffte man sich auch einen höheren Schutz vor feindlichen Übergriffen, da eine geistliche Einrichtung sicherlich ein größeres Hemmnis darstellte als weltliche Güter.

Zuletzt mag hier auch ein Reflex auf den Investiturstreit durchscheinen, den die Tübinger unmittelbar miterlebten. Ein allgemeiner Anstieg der Frömmigkeit im südwestdeutschen Adel zu jener Zeit gilt als gesichert. Archäologische Untersuchungen weißen zudem darauf hin, dass das Kloster direkt auf einem Herrenhof der Tübinger Pfalzgrafen errichtet wurde. Hier wäre also eine direkte Verbindung zwischen Ressourcenkomplex und Ressourcenkultur zu beobachten.

Daran schließt sich die dritte Kernfrage der Untersuchung an, ob zum Zeitpunkt der Stiftung des mit Abstand jüngsten Klosters Bebenhausen in den 1180er Jahren die restlichen Klöster für den gesamten Ressourcenkomplex der Grafen überhaupt noch eine wichtige Rolle spielten. Hier spielt die Zeit als RessourcenGefüge (wie verändert sich die Nutzung der einzelnen Anlagen als Ressource während der Entwicklung des Herrschaftsraumes) eine wichtige Rolle. Vielleicht hatten sich die territorialen Herrschaftsverhältnisse inzwischen bereits so stark verändert, dass die alten Klosteranlagen keine Funktion mehr als Grenzposten erfüllten? Oder waren die Klöster Opfer des bald nach der Gründung von Bebenhausen einsetzenden Niedergangs der Tübinger Grafen? Dagegen spricht, dass zum Zeitpunkt der Gründung von Bebenhausen sich die Tübinger Pfalzgrafen auf dem Höhepunkt ihrer Macht befanden. Ob der jähe Absturz eine Generation später bereits abzusehen war, darf zumindest bezweifelt werden. Eine gewisse religiöse Komponente muss Bebenhausen allerdings für die Tübinger gespielt haben. Sonst wäre es nur schwer zu erklären, weshalb Pfalzgraf Rudolf I. das Kloster ursprünglich den Prämonstratensern übertrug, nur um es bereits zwei Jahre später an die Zisterzienser zu geben. Aber neben Memoria und eventueller Familiengrablege dürften auch bei der Gründung Bebenhausens noch andere, weltlichere Dinge eine gewisse Rolle gespielt haben. Eine der bedeutendsten Fernhandelsstraßen, die via rhenia, lief direkt am Kloster vorbei. Somit scheinen auch für die Gründung Bebenhausens eine gewisse verkehrstechnische Dimension eine von Interesse gewesen zu sein.

Untersuchungsmethoden und Planungen

In der Projektuntersuchung sollen alle hier genannten und weitere, damit in Verbindung stehenden, Ressourcenkomplexe einzeln untersucht werden. Hierfür werden alle bekannten Schriftquellen und archäologische Untersuchungen herangezogen und ausgewertet.

Da die einzelnen Einrichtungen bisher noch nie unter einer gemeinsamen Fragestellung untersucht wurden, besteht die Möglichkeit, dass ausgehend von einer synthetischen Zusammenführung der Ergebnisse und Datensätze der Einzeluntersuchungen der Frage nachgegangen werden kann, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich in der Nutzung von spezifischen Ressourcen in und um Klöster und Burgen, aber auch in der Nutzung von Klöstern und Burgen als Ressourcen für Identitäts- und Herrschaftsbildung und -bewahrung identifizieren lassen.

Christian Kübler

Infos unter: https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-1070/